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Lesen Sie hier den Kommentar unseres Beratenden Mitglieds des Bundesvorstands, Norbert Bowe, zur Veröffentlichung von Manfred Lütz' Text: ‚Wartezeiten auf einen Therapieplatz: Wie ein Lobbyverband psychisch Kranken schadet‘ vom 24. März 2019 im Portal Spiegel Online.

Ein Kommentar von Norbert Bowe zur Veröffentlichung des Textes von Manfred Lütz : ‚Wartezeiten auf einen Therapieplatz: Wie ein Lobbyverband psychisch Kranken schadet‘

Man könnte diese ausgefallene Meinungsäußerung eines Einzelnen auf sich beruhen lassen, wäre da nicht eine hochgespannte politische Situation mit einem sehr aktiven Gesundheitsminister, der sich gegenüber diversen Einflüssen bereits als empfänglich erwiesen hat. Und auf seine Aufmerksamkeit ist dieser heftige Angriff gemünzt. Deshalb erscheint es sinnvoll, auf die Fallstricke dieser mit enormem Impetus vorgetragenen Streitschrift einzugehen. Herr Lütz greift tief in die verbale Skandalkiste, um so einen von ihm wahrgenommenen Missstand an die große Glocke hängen zu können. Was also bringt er vor und was daran ist substanziell?

1. Die skandalisierende Sprache

Es ist schon ungewöhnlich, dass ein (Mit-)Vertreter des Faches Psychotherapie den gegenwärtigen Zustand der Versorgung derart negativ zeichnet: Selbst, wenn damit tatsächliche Missstände aufgezeigt würden, würde Herr Lütz sich zu schriller Töne bedienen: er skandalisiert und setzt sprachlich herab und beschuldigt heftig.

Hier einige markante Beispiele für diese unangemessenen Ausdrucksformen in Zitaten: ein kaputtes System / eine Schande für ein zivilisiertes Land / Zusammenbruch der ambulanten psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung / das System fördert die Behandlung von Gesunden / das Psychotherapiesystem – ein Selbstbedienungsladen / 1,5 Millionen Psychotherapiepatienten ein Millionengeschäft / hemmungslos die Öffentlichkeit manipuliert / keine Skrupel, einfach Patienten einzuspannen / dreist behaupten, in Deutschland werde zur hohen Zufriedenheit der Patienten behandelt / höchst subtile Lobbyarbeit / Opfer der zynischen Kampagne / die Öffentlichkeit wird manipuliert.

Es liest sich, als sei die Versorgung grottenschlecht, unlautere Machtspiele (der BPtK) hielten das vermeintliche Elend am Laufen, seien für dieses verantwortlich: Das ‚System‘ als ein Ort der Niedertracht. Dies steht in seltsamem Kontrast dazu, dass wir, nach überwiegender Meinung von Experten und Politikern, im Vergleich zu anderen Ländern eines der besten Versorgungssysteme haben. Herr Lütz müsste daher all diese Behauptungen Lügen strafen, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, mit seinem öffentlichen Verriss schädlich zu handeln. Bei einer Patientin kam schon die bange Frage auf, ob sie denn auch zu den Nicht- Behandlungsbedürftigen zu zählen sei – seine verallgemeinernden Aussagen zeigen bereits Wirkung.

2. Alles undifferenziert in einen Topf: Die Anprangerung des „Systems“, wobei die unterschiedlichen Systeme nicht differenziert abgehandelt werden

Beginnen wir mit seinem Beispiel zu Beginn des Artikels von der schwer depressiven Patientin, die vergeblich einen Psychotherapeuten suchte: Entweder hatte es der Patientin niemand gesagt oder es ist ein Beispiel aus der Vergangenheit. Über die Terminservicestelle wären ein Vorstellungstermin und eine Akuttherapie innerhalb von 4 Wochen möglich gewesen. Aber noch etwas Anderes macht stutzig: Mehrere Wochen intensiver stationärer Behandlung waren zur Besserung erforderlich- möglicherweise mit kräftiger Unterstützung von Antidepressiva; könnte es da sein, dass auch zuvor schon eine stationäre Aufnahme oder eine medikamentöse Behandlung durch einen Psychiater notwendig gewesen wäre? Das bedeutet: Ging es da vordringlich um einen Psychotherapieplatz?

Nur nebenbei: Dass er vor 30 Jahren in drei Tagen einen Psychotherapietermin bekommen hätte, kann bei der damals noch kleinen Anzahl zugelassener Psychotherapeuten nur auf die seinerzeit noch hohen Barrieren zurückgeführt werden, sich einer Therapie zu unterziehen bzw. zu einer Psychotherapie zu überweisen. Das müsste doch auch dem Autor eingefallen sein.

Wirft das Eingangsbeispiel schon Fragen auf, so zeigen die folgenden Absätze, wie Systeme und Zusammenhänge übergangslos und ununterscheidbar aneinandergereiht und damit vermischt werden:

Im zweiten Absatz beklagt er die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung: Da fehlt es nun tatsächlich an niedergelassenen Fachärzten, sodass die wenigen oft nur Minutengespräche anbieten können, ein Missstand, der nun aber mit den Psychotherapeuten und deren Kammer rein gar nichts zu tun hat. Dieser Missstand hätte sich durch die der Psychotherapie vorgeschaltete Steuerungsinstanz, wie ursprünglich im TSVG vorgesehen, nur noch verschlechtert – so jedenfalls auch die Meinung der psychiatrischen Berufsverbände, die es wissen müssen.

Im dritten Absatz schildert er – ohne es klar kenntlich zu machen – Behandlungen in Kliniken (die meistens unter psychiatrischer oder psychosomatischer Leitung und außerhalb des Einflussbereichs der BPtK stehen), nach der Kurzcharakterisierung (gestresste, wassertretende Manager) ganz offensichtlich sogar in Privatkliniken, die nun mit der ambulanten GKV-Versorgung gar nichts zu tun haben. (Diese Fehlverknüpfung wurde bemerkenswerterweise in vergleichbarer Form mit gleicher Vorwurfsabsicht vor Jahren schon von Dr. Heiner Melchinger vorgebracht – ein Hinweis auf Kooperation?). Diese kritischen Ausführungen werden dann in einer Art Collagetechnik der ambulanten Versorgung ‚angehängt‘. So wird der Eindruck erweckt, dass die Ausführungen zuvor seine unhaltbaren Schlussfolgerungen untermauern könnten. Und nur mittels dieser unsachgemäßen Verknüpfung kann behauptet werden, die 1,5 Millionen Psychotherapiepatienten seien ein Milliardengeschäft. Ihm entgeht bei dem Furor, dass er die Psychologischen Psychotherapeuten, denen er einen Absatz weiter unten bescheinigt: sie „machen eine ausgezeichnete Arbeit, und die weitaus meisten behandeln natürlich wirklich Kranke“, hier gleichzeitig als Geschäftemacher hinstellt, die am liebsten Nichtkranke behandelten, wobei deren Patienten niemand daraufhin kontrolliere, ob sie tatsächlich krank seien oder nicht. Und er behauptet gleichzeitig, das System sei ein Selbstbedienungsladen – verstehe diesen Widerspruch, wer wolle.

Erst der 4. Absatz lässt sich sicher auf die ambulante Psychotherapie beziehen. Die Logik des Autors ist bestechend, wenn er ausführt: a. „für die wirklich Kranken gibt es keine Therapieplätze mehr“ – und b. den Psychotherapeuten „ausgezeichnete Arbeit“ attestiert, und einräumt „die weitaus meisten behandeln natürlich wirklich Kranke“. Was denn nun?
Sollte der ganze Furor in sich zusammenfallen? Um die gerade ausgesprochene Wertschätzung gleich wieder zu negieren, fährt er suggestiv fort: „Fragen Sie sich doch selbst, was Sie tun würden, wenn Sie die freie Wahl hätten, für dasselbe Honorar einen schwer gestörten Menschen zu behandeln oder den gesunden Nachbarn, der aus
irgendwelchen Gründen Gesprächsbedarf hat.“ Nicht nur wird hier Psychotherapeuten pauschalisierend unterstellt, das menschliche Leid würde sie nicht anrühren und sie betrachteten ihren Beruf als Geschäft, eine wirklich monströse Unterstellung. Es zeugt auch von der völligen Unkenntnis darüber, was man als Psychotherapeut aushält: sieben
bis acht Stunden am Tag über Jahre hin Smalltalk mit den Nachbarn wären nur für Charaktergestörte auszuhalten.

Zusammenfassend bleibt festzustellen: Der einzige Absatz, der sich tatsächlich auf die ambulante Versorgung bezieht, besagt: dort werde meist wirklich ausgezeichnete Arbeit an wirklich Kranken geleistet, aber leider sei die Versorgung zum „Selbstbedienungsladen“ geworden, daher suchten sich Psychotherapeuten naturgemäß lieber die Gesunden aus. Was von beidem stimmt denn jetzt?

3. Die Behauptung:
Die Bundespsychotherapeutenkammer ist für die ganze vermeintliche Katastrophe – Zusammenbruch der Versorgung, für das Nichtstun etc. – verantwortlich zu machen

Erstaunt muss man feststellen, wofür die BPtK alles verantwortlich gemacht wird und wie verantwortungslos die Funktionäre sein sollen, die dort tätig sind. Man muss die ständige mediale Präsenz der BPtK nicht gut finden, man kann sich öfters auch wünschen, sie möge sich bei gewissen Themen mehr Zurückhaltung auferlegen, und man kann sich auch immer wieder mal darüber ärgern, dass in ihren Äußerungen eine einseitige Sichtweise
und fehlendes Gespür für den ärztlichen Teil der psychotherapeutischen Versorgung zum Ausdruck kommt. Aber die meisten Verlautbarungen sind nach meiner Meinung als Arzt und Nichtmitglied der BPtK seriös und der psychotherapeutischen Versorgung dienlich. Herr Lütz sieht das offensichtlich ganz anders:
Wer gegen diese – geradezu als allmächtig gezeichnete – Institution Kritik vorbringt, muss den Mut des Autors haben, weil denjenigen „ein Shitstorm erwartet“, und weil derjenige (so scherzhaft bemerkt) dann „am besten einen Sicherheitsdienst beauftragen“ sollte. Deren Funktionäre „manipulieren“ „hemmungslos die Öffentlichkeit“, „alle gehen vor deren Kampagnen in Deckung“ (man wüsste gern, wie diese Arbeitsgemeinschaft BPtK ohne Exekutivmacht so eine Macht entfalten können sollte). „Gegen jeden Reformversuch“ kämpft die BPtK „mit allen Mitteln“. Der Autor bleibt die Liste der vereitelten Reformversuche schuldig. Er zählt leider kein einziges Beispiel der Reformvereitelung auf, das von der BPtK initiiert worden wäre (s.u.: Faktencheck).

Bezüglich der Petition befindet der Autor, dass man bei der BPtK keine Skrupel gehabt habe, Patienten einzuspannen. Zur Richtigstellung: es war nicht die BPtK, sondern Psychotherapeuten aller Verbände, die der Auffassung waren, es gehe die Patienten etwas an, ob sie sich regelhaft einer Vorinstanz zu offenbaren hätten, die darüber zu befinden habe, ob sie zum Psychotherapeuten vorgelassen werden, der dann ein zweites Mal in der obligaten Sprechstunde zu entscheiden habe, ob eine Psychotherapie oder etwas Anderes indiziert sei.

Ob dies eine zusätzliche Hürde ist oder „Hürde“ nur ein geschickt gewählter Begriff ist, um eine Reform abzuwehren, wie der Autor meint, das haben mehr als 200.000 Menschen zumindest anders gesehen als dieser. Die BPtK „behauptet dreist“ Patientenzufriedenheit und gute Behandlungserfolge („dreist“, nennt der Autor es, obwohl auch er ausgezeichnete Behandlung durch Psychotherapeuten bei meist tatsächlich Kranken attestiert hatte), und etikettiert diese Behauptung, die er selbst teilt, als kaum zu überbietenden Zynismus angesichts der Wartelistenpatienten. Nach welcher Logik kann der Hinweis auf die Tatsache, dass es nicht behandelte Patienten auf Wartelisten gibt mit dem Verweis auf tatsächliche Erfolge bei bereits behandelten und tatsächlich kranken Patienten zu einer zynischen Behauptung werden? Er behauptet, die BPtK „macht an allen Fronten Druck“ gegen jedwede Kontrolle der Institution. Die SPD wird beschworen, sie möge die „Ärmsten der Armen“ gegen diese Lobbyistenübermacht in Schutz nehmen. Die Frage ist: Wer bedroht sie – und wodurch?
Aufgeführt werden dann als Beispiel, wer statt ihrer behandelt werde: „gestresste Manager, frustrierte Scheidungsopfer und Besserverdienende, die sich übernommen haben“. Doch diese Menschen werden vielleicht in Privatkliniken behandelt, blockieren jedoch keinen Behandlungsplatz bei niedergelassenen Psychotherapeuten, die ja, nach Herrn Lütz‘ eigener Einschätzung, meist tatsächlich Kranke behandeln. Es bleibt sein Geheimnis, wie die Solidargemeinschaft vor diesem vorgeblichen, jedoch in Wahrheit nicht existenten Missbrauch geschützt werden soll.

Dennoch: Damit der Autor den Eindruck gewinnen konnte, er müsse sich Sorgen machen, dass die – so arglosen – SPD-Politiker zu machtlos sind, um diesem zynischen Einfluss (s.o.) standzuhalten, müssen die Funktionäre der BPtK schon sehr große Verstellungskünstler sein. Aber die Grünen sind ja seiner Auffassung nach schon „dankbarste Opfer dieser zynischen Kampagne“ geworden. Wieviel Hilflosigkeit, fehlende eigene Kritikfähigkeit, fehlende Kompetenz und fehlende Resistenz gegen dreiste Beeinflussungsversuche werden hier Patienten, Politikern und Psychotherapeuten unterstellt, dass der zur umfassendsten Kritik (woran nur?) befähigte Autor sie so dringlich warnen müsste?

Zusammenfassend wird die BPtK mit heftigsten negativen Zuschreibungen belegt, deren Berechtigung sich nach Analyse widersprüchlicher und fehlerhaft verknüpfter Aussagen des Autors auflöst. Die BPtK wird für Aktionen unter Anklage gestellt, die diese weder ins Leben gerufen noch vorrangig betrieben hat. Kann man für die Vorgehensweise des Autors eine andere Erklärung finden, als dass dieser sich von einer vorurteilsbeladenen Abneigung hat (ver-)leiten lassen? Die geradezu monströs geschilderte Macht der BPtK, die zynisch, dreist, subtil, ohne Skrupel ausgeübt wird, kann nur in der Vorstellung des Autors verortet werden. Dass Faktisches dabei außer Acht bleibt, soll hier aufgezeigt werden.

4. Der Faktencheck

  • a. Bereits erwähnt: Der Widerstand gegen die Einführung einer vorgeschalteten Instanz im Rahmen der ‚gestuften und gesteuerten‘ Versorgung geht entgegen der Meinung des Autors nicht auf die Kappe dieser „mächtigsten Lobbyistenorganisation“ (BPtK), sondern in erster Linie auf die des Bundesverbandes der Vertragspsychotherapeuten, der die Petition in Gang gesetzt und mit anderen Verbänden verbreitet hat. Aber sind solche Feinheiten relevant, wenn der Feind für den Autor bereits feststeht?
  • b. Deren „Aufschrei“ galt nicht einer „Andeutung im Gesetz“, sondern der erklärten Gesetzesabsicht, für jeden potentiellen Psychotherapiepatienten zusätzlich zur bereits vorgeschalteten Sprechstunden und probatorischen Sitzungen noch eine weitere Instanz vorzuschalten.
  • c. Zur Behauptung: Anträge für die Richtlinien-Psychotherapie würden zu 97 Prozent vom eingeschalteten Gutachter durchgewinkt. Tatsache ist, dass dieses aufwändige Verfahren von den psychotherapeutischen Spezialisten so fachgerecht durchgeführt wird, dass neben den ca. 4 %  Ablehnungen tatsächlich noch ca. 10 % hinzukommen, bei denen weniger  Stundenkontingente bewilligt werden als beantragt. Die TK-Studie hat eindrucksvoll gezeigt, dass bei den Patienten, bei denen die Diagnosen und die Behandlungsbedürftigkeit durch eine ganze Testbatterie bestätigt wurden, die Rate der bestätigten Therapieindikation ebenso bei 96 % lag wie im Kontrollarm mit Gutachterverfahren. Sie zeigte, dass die Patienten durchweg mittelschwer bis schwer durch Krankheit belastet waren, vergleichbar mit Patienten, die stationär aufgenommen werden. Daraus ergibt sich eben kein Hinweis darauf, dass im Gutachterverfahren ein Durchwinken stattfindet sondern ein Hinweis auf korrekte Indikationsstellung der Behandlungsbedürftigkeit durch Psychotherapeuten. Der Autor stellt somit tatsächlich Kranke, bei denen die Therapieindikation noch einmal bestätigt wurde, summarisch unter den Verdacht, an einer Scheinkrankheit zu leiden.
  • d. Zur Aussage: „Psychologische Psychotherapeuten machen meist ausgezeichnete Arbeit, und die weitaus meisten behandeln natürlich wirklich Kranke“. Ausschließlich für diese Feststellung lassen sich gute Belege finden, so z.B. in der TK-Studie, in der Studie „Praxisübergreifende Dokumentation der  Ergebnisqualität ambulanter Psychotherapie in Bayern“ (QS-PSY-BAY-Studie) oder in der naturalistischen Versorgungsstudie von C. Albani et al.: „Ambulante Psychotherapie in Deutschland aus Sicht der Patienten“, Teil 2: Wirksamkeit.
  • e. Die alleine der Vorstellung des Autors entsprungene Mutmaßung, dass der ‚gesunde‘ Menschenverstand einem quasi schon sagt, dass Psychotherapeuten lieber gesunde Nachbarn (!) statt wirklich Kranker behandeln, reicht ihm schon zur Tatsachenbehauptung, dass das  Psychotherapiesystem in Deutschland zumSelbstbedienungsladen für Psychotherapeuten geworden ist.
  • f. Zur Behauptung: „Am Ende war man dafür, nichts zu tun.“ Auch in diesem Punkt ist der Autor nicht informiert. Es wurde von Seiten der Psychotherapeuten vorgeschlagen, eine koordinierte und strukturierte Versorgung genau für jene „Ärmsten der Armen“ (eben schwer und komplexbehandlungsbedürftige Kranke), als deren Schützer sich Herr Lütz sieht, nach Auswertung und Ergebnis des Modellversuchs NPPV, der durch aktive Zusammenarbeit von Psychotherapeuten und Psychiatern zustande kam, in die GKV-Versorgung einzuführen.
  • g. Zur Behauptung: Der jetzt vom Bundesgesundheitsminister im Ausbildungsreformgesetz untergebrachte modifizierte Paragraph zur gesteuerten und strukturierten Versorgung könne im Selbstverwaltungsgremium G-BA an „viel Macht jener Lobbyisten“ scheitern. Fakt ist, dass die BPtK darin gar keine Macht hat, im letztlichen  Entscheidungsgremium des G-BA Psychotherapeuten gar nicht vertreten ist, und nur in der vorbereitenden Arbeitsgruppe noch fachlichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung nehmen könnte.

5. Die Wirkung auf Psychotherapiepatienten

Vermutlich hat Herr Lütz nicht reflektiert, dass sein nach unserem Analyse- und Recherche-Ergebnis durch nichts gestütztes, vernichtendes Urteil (über die psychotherapeutische Versorgung, die Psychotherapeuten und deren Vertretung) auch Auswirkungen auf die Patienten hat, die Spiegel-online lesen. Ein Beispiel von derartiger Verunsicherung wurde schon genannt. Menschen in Lebenskrisen werden ebenso pauschal als nicht behandlungsbedürftig erklärt wie Menschen mit mittelschweren Depressionen, denen ein zusätzlicher Gutachter die Behandlungsbedürftigkeit bestätigt hat. Dass man bei Depressiven mit solchen Bagatellisierungen Schuldgefühle verstärken kann („Stell Dich nicht so an!“), wie auch die Hemmungen, notwendige Hilfe in Anspruchzu nehmen, ist dem Autor offensichtlich entgangen. Und was ist das für eine Auffassung von psychisch Kranken und Belasteten: Wenn Menschen, die psychisch belastet sind und sich Hilfe suchend zu einem Psychotherapeuten begeben, so ist nur zu wünschen, dass sie das ohne Vorfilter tun können. Wer, wenn nicht diese sollte besser die  Unterscheidung treffen, wo die Grenze zwischen gesund und krank verläuft? Und es ist doch auch nur wünschenswert, dass Menschen in krisenhaften Situationen, ohne schon sicher krank zu sein, zum Psychotherapeuten gehen können, damit sie in ein bis drei Gesprächen wieder möglichst schnell Boden unter die Füße bekommen: das ist eine gezielte, wirksame Primärprävention. Wenn das gesellschaftlich und gesundheitspolitisch bei jedem anderen medizinischen Fach als unbestreitbar sinnvoll und zur kassenfinanzierten Versorgung zugehörig angesehen wird, dann müssen die vom Autor geforderten Kontrollen der Überprüfung von Behandlungswürdigkeit ausgerechnet auf dem Gebiet der Psychotherapie, wo Schamgrenzen und Schuld- und Versagensgefühle besonders häufig vorkommen, sich entmutigend auf Patienten auswirken. Würde diese Sichtweise politik- und gesellschaftsfähig werden, dann gäbe es einen Rückfall in alte Zeiten, wo der Gang zum Psychotherapeuten als stigmatisierend angesehen wurde.

6. Zum Schluss

Wenn jemand sich traut, eine – sicher verbesserungsfähige – Versorgungssituation so katastrophal zu zeichnen und die Vertretung von Psychotherapeuten in Grund und Boden zu verdammen, dann sollte er seiner Sache absolut sicher sein. Er müsste hieb- und stichfeste Argumente vorbringen. Das Gegenteil ist der Fall. Damit lädt Herr Lütz einige Verantwortung auf sich: zum einen für eine Verrohung der Sprache, die schwerlich von der Sprache eines Shitstorms zu unterscheiden ist, zum anderen für eine Bagatellisierung psychischen Leidens, mittels diffamierender Unterstellungen gegenüber Psychotherapeuten und deren Institutionen. Zudem für den Versuch einer Beeinflussung von Politikern mit den Mitteln falscher Tatsachenbehauptungen. Wenn Derartiges verfängt, kann daraus großer Schaden entstehen.

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